Bei der Sanierung oder Erneuerung der Elektroanlage in Bestandsgebäuden (mehrstöckiger Wohnbau) steht die Eigentümergemeinschaft oder die Hausverwaltung oft vor der Frage: Ist eine Planung erforderlich und wie soll das ausgeschrieben werden?
In unserem Blogbeitrag „Erneuerung der Elektrik in Bestandsgebäuden“ haben wir bereits die 3 wesentlichen Auslöser für eine Sanierung der Elektroanlage dargestellt. Kurz zusammengefasst sind das
- Sanierung wegen Gefahr in Verzug
- Sanierung wegen Alterung (betriebsgewöhnliche Lebensdauer von 40 Jahren überschritten)
- Sanierung wegen wesentlicher Änderung
Wenn nun durch einer der drei genannten Auslöser eine Sanierung der Elektrik in einem Bestandsgebäude durchgeführt wird, stellt sich die Frage, wie das am besten anzugehen ist. Als allererst ist es sinnvoll ein Ziel zu definieren. Und dieses Ziel ist stark von der finanziellen Situation abhängig. Im Wohnbau wird ein s. g. Erhaltungs- du Verbesserungsbeitrag (EVB) von den Mietern bzw. Eigentümern angespart, aus dessen Mitteln die Sanierung in der Regel erfolgt. Also ist das für das Objekt vorhandene Geld maßgeblich für die budgetären Rahmen der Sanierung und definiert auch das Ziel und somit den Betrachtungszeitraum.
Ist wenig Geld vorhanden wird man nur das Allernötigste umsetzen, ist genug Geld vorhanden wäre ein Generalsanierung in der Art zu empfehlen, dass die Anlage über die gesamte betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von 30 – 40 Jahren keine Kosten mehr verursacht.
Grundsätzlich kann gesagt werden, je länger der Betrachtungszeitraum gewählt wird, desto billiger wird die Sanierung über die Lebensdauer einer Anlage.
Eine Elektroanlage hat eine Lebensdauer von 30 – 40 Jahren. Macht man beispielsweise alle 35 Jahre eine Generalsanierung ist das deutlich kostengünstiger, als im Abstand von wenigen Jahren immer wieder Teile zu adaptieren, nachbessern, Mängel beheben, etc.
Hat man sich für eine Teil- oder Generalsanierung entschieden, ist der nächste Schritt die Planung und Ausschreibug der erforderlichen Leistungen. Die Zusammenarbeitet mit einer planenden Person ist ratsam, keinesfalls sollten Personen ohne fachspezifische Ausbildung und Erfahrung planerisch tätig werden.
Folgende Ausschreibungsformen sind möglich:
Die konstruktive Ausschreibung nach LB (Leistungsbuch)
In dem vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft herausgegebenen Leistungsbuch Haustechnik sind alle In der Haustechnik/Elektrotechnik vorkommenden Artikel und Leistungen nach verschiedenen Gruppen aufgelistet. Die planende Person stellt alle für das Werk erforderlichen Artikel und Leistungen nach den im Leistungsbeuch vorgegeben Gruppen zusammen.
Vorteile
Der Vorteil der Ausschreibung nach Leistungsbuch ist, dass Firmen für die genormten Artikel und Leistungen ihre Preise hinterlegt haben und sehr rasch und unkompliziert über die ONLV Schnittstelle Angebote erstellt werden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch bei guter Konjunktur Angebote abgegeben werden, ist hoch.
Nachteil
Für den technisch nicht versierten Kunden – und auch oft nicht für die kalkulierende Person – ist auf Grund der nach Gruppen geordneten und aufsummierten Artikel und Leistungen nicht ersichtlich, was genau umgesetzt werden soll.
Die funktionale Ausschreibung
Die funktionale Ausschreibung beschreibt nur das Ziel, die anbietende Firma muss – wenn sie ein Angebot abgeben möchte – eine vollständige Planung durchführen und daraus ein Leistungsbuch erstellen, welches ausgepreist wird.
Die funktionale Ausschreibung funktioniert gut im Neubau, beispielsweise mit der Formulierung „Elektroinstallation ab Hausanschluss lt. allen gesetzlichen und normativen Vorgaben sowie Ausstattungsliste“.
In der Sanierung funktioniert das nicht, da die bestehenden Gegebenheiten bewertet werden müssen.
Vorteile
Kein Planungsaufwand
Nachteile
Der schwerwiegende Nachteil der funktionalen Ausschreibung ist, dass die Angebote nicht vergleichbar sind. Der Auftraggeber weiß nicht, was angeboten ist und was letztlich umgesetzt wird. Dies geht aus dem Angebot, oftmals nur ein Preis für eine gesamte Sanierung – nicht hervor. Eine Abnahme der Arbeiten ist praktisch unmöglich, da die Schnittstellen und Gewerks Abgrenzungen fehlen sowie qualitative Parameter nicht definiert werden können. Die Erfahrung zeigt, dass Sanierungen, die funktional ausgeschrieben wurden, nach wenigen Jahren bereits wieder saniert werden müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei guter Konjunktur keine bzw. wenig Angebote abgegeben werden, ist sehr hoch.
Da der Auftragnehmer selbst entscheidet, was umzusetzen ist und was erhalten bleibt, ist der Auftraggeber in der gesamten Umsetzungsphase Passagier.
Die teilfunktionale Ausschreibung
Die teilfunktionale Ausschreibung hat sich über die Jahre als die sinnvollste Art für die Sanierungen der Elektrik in Bestandsgebäuden auszuschreiben, etabliert.
Hier werden von der planenden Person nach Gruppen geordnet, die Rahmenbedingungen definiert, der Weg der Umsetzung, sowie projektspezifische Bedingnisse formuliert. Eine Unterteilung in folgende Unterbereiche /Gruppen hat sich über die bewährt:
Elektrotechnik
Hausanschluss, Hauptleitungen, Hauptverteiler, Steigleitungen, Zählerverteiler, Wohnungszuleitungen Allgemeininstallation, Ladestationen, Photovoltaik
Kommunikationstechnik
Sat-Anlagen, Gegensprechanlagen, Datenleerverrohrung
Beleuchtung
Stiegenhaus, Allgemeinräume, Außenanlage
Brandschutz
Sicherheitsbeleuchtung, Brandschotte, RWA-Anlagen
Vorteile
Sowohl die anbietende Firma, als auch der Kunde weiß, nach Gruppen geordnet, was umgesetzt wird und bei angespannter monetärer Situation können im Auftragsfall einzelne Gruppen gestrichen bzw. die Umsetzung verschoben werden.
Nachteile
Erheblicher Planungsaufwand
Monetäre Bewertung
Eine monetäre Bewertung der drei vorgestellten Varianten an Hand von einem fiktiven Projekt mit Herstellungskosten von ca. 100.000 € zeigt, dass die Ausschreibung nach Leistungsbuch sowie die teilfunktionale Ausschreibung von den Herstellungskosten in etwa gleich sind, zu den Herstellungskosten kommen ca. 10% für Planung, also zusammen ca. 110.000 €.
Die Ergebnisse einer funktionalen Ausschreibung liegen etwa 30% bis 50% über dem o. g. Preisniveau, dafür kommen keine Planungskosten dazu, in Summe zusammen 130.000 – 150.000 €. Nicht eingerechnet sind die Kosten, die bei funktionalen Ausschreibungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig anfallen werden.
TR Ing. Manfred Kernstock, April 2024
Der Autor ist Eigentümer eines Ingenieurbüros für Elektrotechnik und hat in dieser Funktion die (elektro)technische Infrastruktur von rund eintausend Objekten saniert, etwa 700 davon in mehrgeschoßigem Wohnbau.