Bei der Sanierung oder Erneuerung der Elektroanlage in Bestandsgebäuden steht die Eigentümergemeinschaft oder die Hauverwaltung oft vor der Frage:
Was muss gemacht werden und was ist sinnvoll. Eine Richtschnur gibt hier das Elektrotechnikgesetz 1992.
https://www.ris.bka.gv.at/geltendeFassung.wxe?Abfrage=bundesnormen&gesetzesnummer=10012241
In diesem Gesetz ist in § 3 (Sicherheit) festgelegt, dass elektrische Anlagen so betrieben und in Stand gehalten werden müssen, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht.
Und in § 4 (Bestandschutz) ist festgelegt, dass Normen und Vorschriften, die nach der Anlagenerrichtung in Kraft treten, für die Anlage nicht anzuwenden sind.
Was heißt das nun?
So lange von einer Anlage keine Gefahr ausgeht, gelten für die Bewertung der Anlage die Vorschriften die zum Errichtungszeitpunkt gegolten haben. Das bedeutet, nur weil eine Anlage alt ist, ist jedenfalls kein ausreichendes Argument für eine Sanierung, solange die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer nicht erreicht ist.
Wann geht Gefahr aus?
Im gesetzlich geregelten Regelwerk der Elektrotechnik ist eine dreistufige Sicherheitsarchitektur beschrieben und festgelegt. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei Einhaltung aller dieser 3 Stufen von einer Anlage keine Gefahr ausgeht.
Stufe 1 – Basisschutz/Laienbedienbarkeit
Als Basisschutz bezeichnet man die Vorkehrung zum Schutz gegen direktes Berühren von aktiven Teilen, die unter normalen Betriebsbedingungen unter Spannung stehen. Sie kann durch die sogenannte Basisisolierung, durch Abdeckungen oder Umhüllungen gewährleistet sein.
Stufe 2 – Schutzmaßnahme/Fehlerschutz
Als Fehlerschutz bezeichnet man Vorkehrungen zum Schutz bei indirektem Berühren von berührbaren leitfähigen Teilen. Dabei handelt es sich um Körper oder leitfähige Teile (Metallische Oberflächen, Gehäuse, Bedienelemente) von elektrischen Betriebsmitteln, die bei Versagen des Basisschutzes gefährliche Berührungsspannung annehmen können. In Wien ist das in der Regel die Nullung. Basis dafür ist die Nullungsverordnung 1998.
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10012816
Stufe 3 – Zusatzschutz
Für die Endstromkreise ist in sogenannter Zusatzschutz erforderlich. Ein Zusatzschutz schützt vor Stromschlägen, wenn Basis- und Fehlerschutz versagen. Als Zusatzschutz kommt in der Regel der Fehlerstromschutzschalter zum Einsatz.
Wir sehen nun, dass elektrische Anlagen die etwa vor den 1990er Jahren errichtet wurden, meist die Anforderungen an den Basisschutz nicht erfüllen. Offene spannungführende Sammelschienen, Kabelschuhe, Klemmen sind sehr häufig an allgemein zugängigen Orten wie Zählernischen oder Kellerbereichen untergebracht. Ebenso erfüllen Schraubsicherungen nicht die Anforderungen an die Laienbedienbarkeit. Entsprechend der 3-stufigen Sicherheitsarchitektur geht somit von der Anlage Gefahr aus, der § 3 Elektrotechnikgesetz (Sicherheit) ist nicht erfüllt und der nachgeordnete § 4 Elektrotechnikgesetz (Bestandsschutz) kann nicht angewendet werden.
Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer einer Elektroanlage
Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer einer Elektroanlage liegt bei 30 bis maximal 40 Jahren. Länger sollte eine Anlage nicht in Betrieb sein. Bei Überprüfungen von derart alten Anlagen sehen wir häufig sehr schlechte Erdungswiderstände durch Rostfraß an den Fundament Erdern, hohe Übergangswiderstände an Klemmen durch Oxidation, nicht eingehaltene Verlege Bedingungen durch nachträglich Änderungen, brüchige Leitungsisolierung, etc.
Somit ist bei den oben genannten Anlagen, die vor den 1990er Jahren errichtet wurden, jedenfalls die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer schon erreicht bzw. überschritten. Nach 40 Jahren hat eine elektrische Anlage das Ende ihrer Lebensdauer jedenfalls erreicht und Bestandsschutz kann nicht geltend gemacht werden. Hier sollte jedenfalls eine komplette Sanierung angedacht werden.
Der wesentliche Eingriff in eine Elektroanlage
In § 6 Elektrotechnikgesetz ist festgelegt, dass bei wesentlichen Änderungen oder Erweiterungen an der Elektroanlage für die gesamte Anlage die zum Zeitpunkt der Änderung oder Erweiterung gültigen Regelwerke anzuwenden sind. Eine wesentliche Änderung liegt beispielsweise vor, wenn die Leistungsbedarf um mehr als 20% erhöht wird, oder wenn die Schutzmaßnahme verändert wird. Erhöhung des Leistungsbedarfs entsteht meist durch Anlagenerweiterungen, Änderung der Schutzmaßnahem entsteht immer dann vor, wenn beispielsweise von Schutzerdung auf Nullung umgestellt wird.
Wenn eine wesentliche Änderung vorliegt, ist jedenfalls die Anlage auf die aktuelle Vorschriftenlage umzubauen oder zu sanieren.
Wir sehen nun 3 wesentliche Faktoren, die eine Sanierung auslösen:
- Sanierung wegen Gefahr in Verzug (Sicherheitsarchitektur aus Basisschutz, Schutzmaßnahme und Zusatzschutz nicht erfüllt)
- Sanierung wegen Alterung (betriebsgewöhnliche Lebensdauer von 40 Jahren überschritten)
- Sanierung wegen wesentlicher Änderung bzw. Erweiterung
Wenn die Hauseigentümergemeinschaft oder die Hausverwaltung sich nun für eine Sanierung der Elektroanlage entscheidet, stellt sich die Frage, was nun wirklich umzusetzen ist.
Wir teilen die wesentlichen Elemente einer Elektroanlage in folgende Unterbereiche:
Elektrotechnik
Hausanschluss
Hauptleitungen
Hauptverteiler
Steigleitungen
Zählerverteiler
Zentralzählung
Wohnungszuleitungen
Allgemeininstallation
Ladestationen
Photovoltaik
Kommunikationstechnik
Sat-Anlage
Gegensprechanlage
Datenleerverrohrung
Beleuchtung
Stiegenhaus
Allgemeinräume
Außenanlage
Brandschutz
Sicherheitsbeleuchtung
Brandschotte
RWA-Anlagen
Die Zusammenarbeit mit einer planenden Person mit spezifischer Erfahrung ist unbedingt anzuraten. Jeder einzelne Bereich erfordert spezifische Kenntnis der anzuwendenden Gesetze, Normen und Regeln der Technik. Was davon umzusetzen ist, sollte tunlichst vor Beginn der Planung festgemacht werden, um alle Anlagenteile mit deren Wechselwirkungen in die Planung einfließen können und bei der Ausschreibung entsprechend berücksichtigt werden. Die planende Person arbeitet treuhändisch für den Auftraggeber und berät die Hausgemeinschaft oder deren Vertretung ohne Eigeninteresse.
Die Phasen der Planung möchten wie folgt darstellen:
Vorentwurf
Im Vorentwurf wird ein grober Lösungsansatz skizziert, in dem der Planer die unbedingt erforderlichen Maßnahmen darstellt sowie die darüber hinaus sinnvollen Maßnahmen benennt.
In Zusammenarbeit mit der Hausgemeinschaft oder deren Vertretern wird daraus ein Maßnamenbündel konkretisiert, wir nennen es den Entwurf. Dieser richtet sich nach den unbedingt erforderlichen Maßnahmen sowie den sinnvollen Maßnahmen unter Maßgabe der monetären Situation.
Entwurf – Planung – Ausschreibung
Der Entwurf ist die Zusammenstellung der abgestimmten Maßnahmen, unterlegt mit Führungsplänen (Prinzip Skizzen, Schemata) in der Detailtiefe, dass für einen Bieter klar ist, was umgesetzt wird. Im Rahmen eine Ausschreibung wir ein Bieter ermittelt. Bei Anwendung einer beschränkten oder zweistufigen Ausschreibung bietet sich die Billigstbieterermittlung an, bei öffentlichen Ausschreibunge bietet sich eine Bestbieterermittlung an, bei der neben dem monetären Kriterium auch qualitative Kriterien bewertet werden und das bestbietende Unternehmen mit einem Punktesystem ermittelt wird.
Vergabe
Die Basis für den Prozess der Ausschreibung und Vergabe sind geregelt in den „Grundlagen des fairen Wettbewerbs“, festgeschrieben in der ÖNORM A 2050 sowie im Bundesvergabegesetz.
Die eingelangten Angebote werden gemeinsam geöffnet und der Best- bzw. Billigstbieter ermittelt.
Umsetzung – Abnahme
Nach der Vergabe der Leistung beginnt der Prozess der Umsetzung, der nach Fertigstellung der geplanten und ausgeschriebenen Leistung mit einer Abnahme der Arbeiten endet. Die Abnahme erfolgt in Anwesenheit der ausführenden Firma, dem Auftraggeber oder dessen Vertreter. Es wird ein Protokoll angefertigt, und gegebenenfalls Mängel dokumentiert. Am Tag der Abnahme/Übernahme geht das Risiko der Anlage vom Errichter zum Betreiber und die Haftzeit von 3 Jahren beginnt zu laufen.
Nach der Abnahme kann die ausführende Firma Schlussrechnung legen.
TR Ing. Manfred Kernstock, April 2024
Der Autor ist Eigentümer eines Ingenieurbüros für Elektrotechnik und hat in dieser Funktion die (elektro)technische Infrastruktur von rund eintausend Objekten saniert, etwa 700 davon in mehrgeschoßigem Wohnbau.